Sind wir im Krieg nur Zuschauer? – Kommentar von Raimund Neuß zum zweiten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine
Nur jeder siebte Deutsche, das erklärte vor ein paar Tagen das Meinungsforschungsinstitut insa, glaube, dass die Ukraine im Krieg gegen Russland siegen könne. Auch wenn zu ergänzen ist, dass knapp die Hälfte von einem Patt und somit auch nicht von einem russischen Sieg ausgeht, ist die Fragestellung solcher Umfragen selbst in doppelter Weise fragwürdig.
Erstens ist nicht klar, wann genau denn von einem Sieg der Ukraine die Rede sein könnte. Sicher geht es ja nicht um eine Niederwerfung Russlands, sondern schlicht um ein Ende der Aggression. Zweitens versetzen solche Umfragen die Deutschen in eine Zuschauerrolle.
Dabei sind wir in doppeltem Sinne Betroffene: Zu fragen wäre doch erstens, welche Unterstützung wir der Ukraine geben können und wollen, denn die ist mitentscheidend für die Chance des angegriffenen Landes, im Krieg zu bestehen. Und zweitens galt dieser Krieg von Anfang an nicht nur der Ukraine, sondern ganz Europa. Er ist Teil einer Kette russischer Destabilisierungsversuche – aktuell offensichtlich wieder in Moldawien.
Zu fragen wäre also, welche Ordnung wir in Europa haben wollen.
Eine „völkerrechtliche Großraumordnung“ im Sinne des NS-Theoretikers Carl Schmitt, in der Großmächten wie Russland ein Kordon zu unterjochender Staaten zugestanden wird? Ganz im Sinne des berüchtigten Gesprächs zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem französischen Kollegen Emmanuel Macron, in dem Putin die Ukraine mit einer Frau verglich, die ihrem Vergewaltiger – also ihm – nicht entkommen wird. Angeblich realistische Polit-Autoren empfehlen, um des Friedens willen derart perverse Ansprüche zu akzeptieren. Aber dies schüfe weder Frieden noch Sicherheit. Ein Minsk-III-Abkommen zulasten der Ukraine würde Putin, wenn es ihm passt, genauso brechen wie Minsk I und II.
Es ist viel von Zeitenwende die Rede seit zwei Jahren. Die Wende findet seit 25 Jahren statt, wir haben sie nur ignoriert: Putin hat seit der Machtübernahme 1999 einen hochaggressiven Staat geformt. Er handelt rational, aber nicht mit der Rationalität von Sowjet-Bürokraten, sondern mit der eines Gangsterbosses. Konzepte wie Entspannung, Wandel durch Handel funktionieren bei ihm nicht. Wo er Schwäche vermutet, greift er an. Die Abwehr dieses Gewalttäters ist im Interesse aller Europäer. Die Ukrainer kämpfen für uns.
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Quelle: Raimund Neuß, Kölnische Rundschau
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